Mittwoch, 12. Dezember 2012

Wenn Sie schon jemanden totfahren, dann besser einen Rentner.

Das jedenfalls muss Ihnen Ihr Strafverteidiger unter Bezugnahme auf eine wissenschaftliche Studie aus Großbritannien raten, von der Frank Luerweg in der Dezember-2012-Ausgabe der Zeitschrift "Psychologie Heute" berichtet.
Der Wissenschaftler Mitchell Callan und seine Kollegen Rael Daltry und James Olson führten mit Bewohnern der Stadt Colchester ein Experiment durch: Sie legten Ihnen einen (gefakten) Polizeibericht vor, nachdem ein betrunkener Autofahrer einen anderen Verkehrsteilnehmer über den Haufen gefahren und dabei schwer verletzt hatte und fragten nach, welche Strafe denn für den Übeltäter angemessen sei. Allerdings verbreiteten sie zwei Versionen des Berichts: In der einen war der Verletzte 18 Jahre alt und in der anderen 74.
Und siehe: Angesichts des Rentners hielten die Befragten eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten für ausreichend, während sie beim 18-Jährigen zu 18 Monaten kamen. Auch bei zwei weiteren, leicht abgewandelten Experimenten kamen die Forscher zum gleichen Ergebnis: Junges Opfer - höhere Strafe, Senior-Opfer - mildere Strafe.
Möglicherweise - so zitiert "Psychologie Heute" die Forscher - greife hier der "Just World Effect". Jeder glaube an eine gerechte Welt, und um diesen Glauben aufrecht zu erhalten, machen viele ein Opfer für sein (eigentlich unverschuldetes) Leiden mitverantwortlich, wobei der Effekt besonders stark sei, wenn das Opfer "... aus einer sozialen Gruppe stammt, die kein hohes Ansehen genießt!"

Quelle: "Psychologie Heute", Ausgabe 12/12, S. 15

(C) Foto: Ilka Plassmeier / www.pixelio.de

1 Kommentar:

  1. ... das habe ich so während meiner Ausbildung bei der Staatsanwaltschaft vor vielen Jahren erfahren müssen. Vor einem kleinen Amtsgericht in der Provinz eines eher ländlich geprägten Bundeslandes im Osten unserer Republik war ein Fahrdienstmitarbeiter eines Seniorenbetreuungsdienstes angeklagt, weil er nach dem Absetzen einer alten Dame diese angefahren hatte, worauf diese später verstarb. Im Wesentlichen stand auch der Sachverhalt fest. Der Angeklagte hatte nachts, bei Regen in der schmalen Straße in der er die alte Dame abgesetzt hatte, rückwärts zurückgesetzt, ohne sich zu versichern, dass sich hinter dem Fahrzeug niemand befand. Leider befand sich dort die alte Dame. Folgerichtig kam es zur Kollision mit den bekannten Folgen. In der Verhandlung blieb der Fahrer weitgehend uneinsichtig und ließ sich ein, dass er zu der Uhrzeit nicht mit Passanten habe rechnen müssen, er habe auch nichts sehen können, dies hätten die Spiegel nicht hergegeben und außerdem sei durch Regen die Sicht durch die Heckscheibe behindert gewesen. Er verstehe also gar nicht so recht weshalb er angeklagt sei ... .
    Man möge sich selbst seinen Reim darauf machen. Ich war jedenfalls ziemlich empört und ließ dies wohl auch in Verhandlung, Plädoyer und Antrag deutlich werden. Die vom Verteidiger beantragte EInstellung gab es im Ergebnis zwar nicht, dennoch blieb der Richter im Strafmaß deutlich hinter meinem Antrag für die StA zurück u.a. mit den Gründen, dass bei der Strafzumessung auch die nicht mehr allzu lange Lebenserwartung des Opfers zu berücksichtigen war. ... Stimmt also lieber Omas totfahren, die haben es eh schon hinter sich ...

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